HINWEIS: Dieses Schreiben ging an verschiedene Politiker/innen
anbei meine Mitschrift aus der gestrigen Sat-1-Sondersendung mit Marlene Lufen zu den negativen Folgen des Lockdowns. Ich schreibe zu dem Thema seit nunmehr fast einem Jahr Artikel und Briefe, teilweise mit Tausenden anderen. Mittlerweile warnen immer mehr Ärzte, dass wir bei der jungen Generation möglicherweise schlimmste Folgeschäden produzieren, vor allem bei der Psyche, aber auch der Bewegungsmangel ist ein Riesenproblem. Daher bitte ich zusammen mit vielen Eltern, mit denen ich nach wie vor im Austausch bin:
Kontaktverbote für Kinder und Jugendliche dringend lockern, Sport sofort wieder zulassen, Bildungsziele für das Schuljahr runter, soziale Bindungen und Bewegung an der frischen Luft stärken, dazu Ehrenamtliche und Eltern einbinden. Ggf. mehr testen, um Kontakte zuzulassen. Keine Schule mit Maske!! Nachhilfeangebote durch die Lehrer - wir Eltern können die Betreuung mit organisieren, sowie Gruppen erlaubt sind. Es können ja zunächst stabile kleinere Gruppen sein.
1) Homeschooling und überforderte Eltern
Davon berichteten SchülerInnen, die für die Sendung interviewt wurden:
- Angst, Abschlüsse nicht zu schaffen
- Angst, das Schuljahr nicht zu schaffen
- „Meine Mama gibt uns Handy und Computer, dann hat sie Ruhe vor uns“ Mädchen, 8 J.
- "Wegen Corona streiten mein Bruder und ich uns viel mehr, als sonst" – Junge, 12 J.
Schülersprecher zu Homeschooling: „Das kann gar nicht funktionieren!“ – konkret ging es um die Frage, ob man sich zu Hause so konzentrieren kann wie in der Schule.
„Schule ist ja mehr als nur Unterricht – Schule ist soziale Kontakte, AGs, auch mal Streit...“
Kinder- und Jugendärztin Dr. Karella Easwaran: „Diese Situation, die wir jetzt haben – es erwischt jetzt auch diese gesunden Kinder mit tollen Familien, die auch diese Belastungen jetzt zeigen“
Kontakte zu Gleichaltrigen seien enorm wichtig, vereinfacht gesagt: „Durch die Interaktionen entstehen Botenstoffe, die die Entwicklung des Gehirns beeinflussen. (...) Die Botenstoffe beschützen uns vor Angst, Agressivität und vor Depression“. Es bestehe die Gefahr, „dass diese Kinder später nicht klarkommen in der Gesellschaft“.
Auch der Stress der Eltern sei „Gift“ für die Kinder. „Und die Eltern sind megagestresst mit all den Aufgaben, die sie haben, die sind am Ende ihrer Kräfte“. (Kleine Info am Rande: Auch Homeoffice hilft nicht dabei, Familie und Beruf zu vereinbaren, wer zu Hause arbeitet, kann sich auch nicht gescheit um die Kinder kümmern, sondern blafft sie im Zweifelsfall an, weil er / sie auch gerade etwas fertig bekommen muss. Die Kinder werden andauernd zurückgewiesen, auch das ist schrecklich für sie, oder sie werden abgeschoben vor die Bildschirme).
2) Thema Depressionen:
Berichtet wird, dass eine schwer Depressionserkrankte im Lockdown ihre Therapeutin nicht treffen konnte, dass sie es aber auch nicht schaffte, sich per Videokonferenz therapieren zu lassen, weil sie das Format überforderte (sich selbst zu sehen, Zeitversetzung der Akustik, dass sie in ihrem häuslichem Umfeld war etc.)
Schon vor Corona gab es nicht genügend Therapieplätze, jetzt ist das Problem wohl deutlich größer.
Depressionserkrankte zum 1. Lockdown: „Erst fand ichs tatsächlich gut, weil ich dachte, jetzt fühlen sich alle mal so, wie ich mich fühle, und zu Hause bleiben, das kann ich ja“.
Kinder- und Jugendärztin: Wichtig sei, zu unterscheiden, im Moment hätten viele eine depressive Verstimmung, dies könne sich aber zu Depressionen entwickeln, auch und gerade bei Kindern und Jugendlichen. „Ich habe noch nie erlebt, dass ein achtjähriges Kind weint und sagt, ich möchte nicht morgens aufstehen“.
Der Schülersprecher berichtet von SchülerInnen mit Schlafproblemen, z.B. 48 Stunden am Stück wach zu sein. Eine Schülerin habe gesagt, sie sei jetzt immer lang wach, weil sie sich nicht auspowern kann, so etwas höre er oft.
„Entweder die Leute kommen gut mit dem Lockdown klar oder sie kommen überhaupt nicht klar, dazwischen gibt es irgendwie nichts“.
Kinder- und Jugendärztin: Der Wach-Schlaf-Rythmus sei tatsächlich bei vielen Kindern und Jugendlichn derzeit gestört.
3) Thema Kollateralschäden im Gesundheitsbereich:
„Wir Ärzte sehen fast täglich in unseren Praxen die negativen gesundheitlichen Lockdownfolgen:
Übergewicht, Panikstörungen, verschobene Vorsorgeuntersuchung, ausgefallene Operationen“
Hintergrund: Marlene Lufen hatte in ihrem Instagramm-Account ein Video gepostet, das in kürzester Zeit 10 Mio. Aufrufe verzeichnete. Dazu hatte sie folgendes recherchiert:
"Diese Zeit lastet schwer auf uns. Auf der Suche nach dem richtigen Mittel sollten wir auch diese Zahlen kennen:
23% mehr Fälle von Gewalt an Kindern in der Gewaltambulanz der Charité im ersten Halbjahr 2020.
600.000 Kinder erleben zu Hause Schläge, Stöße und Schlimmeres.
Das sind 6,5 % der Kinder in Deutschland.
461.000 Kinder haben im Jahr 2020 die „Nummer gegen Kummer“ gewählt.
Allein die Online-Beratung hatte einen Zuwachs von 31% zum Vorjahr.
Diese 31% entsprechen 10.428 Kontaktaufnahmen durch Kinder und Jugendliche in Not mehr als sonst.
Die „Jugend-Notmail“ und die „Online-Jugend- und Elternberatung“ verzeichnen Steigerungen seit März 2020 um zeitweise 50 %.
2,6 Millionen Kinder leben – auch ohne Corona – mit suchtkranken Eltern unter einem Dach.
Das „Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen“ verzeichnet seit April 2020 einen sprunghaften Anstieg an Beratungen von 15-20%.
67% der Jugendlichen zwischen 18 und 24 fühlen sich zur Zeit überdurchschnittlich psychisch belastet.
800.000 Menschen leiden in Deutschland an Magersucht. 6-10% sterben daran.
Seit Herbst gibt es 10-20 % mehr Anfragen nach Therapieplätzen.
In 50% der Haushalte leben Menschen allein.
74% der an Depressionen Erkrankten geben in einer Befragung an, durch den Lockdown extrem belastet zu sein.
Armut und Existenzangst nehmen dramatisch zu.
Wir sollten die Nebenwirkungen genau berechnen und kennen, wenn wir entscheiden, ob die Verlängerung des Lockdown tatsächlich die beste Wahl im Kampf um unsere Gesundheit ist.
Bitte entschuldigt kleine Versprecher.
Quellen u.a.: SZ vom 3.12.2020, Pressestellen bmfsfj, Hilfetelefon und „Nummer gegen Kummer“, BKJ Bundesverband der Kinder- und Jugend-Psychotherapeuten, Charité Gewaltambulanz, Deutsche Alzheimergesellschaft, Fachverband Sucht, Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Einslive, Prof. Dr. Thomas Huber v. Klinik am Korso, Die Zeit 17.1.2021 u.v.m."
Mit freundlichen, aber sehr besorgten Grüßen,
Sandra Reuse
Das ist das Ergebnis der vorgestellten Studie Corona und Psyche II des UKE Hamburg-Eppendorf